Hortense von Gelmini:
Gemälde "DER MENSCH"
Hortense von Gelmini mit Dr. Otto Gillen am 11.09.1978 nach Eröffnung der Einzelausstellung "Christlicher Glaube in Bildsymbolik" im Rahmen des 85. deutschen
Katholikentags in Freiburg (Kaisersaal des historischen
Kaufhauses).
Bei dieser Vernissage spielte Hortense von Gelmini als Pianistin in öffentlicher Ur-Aufführung ihren Kompositionszyklus "Tetrade unio mystica". Erstmals wurden öffentlich Gedichte von ihr rezitiert.
Laudatio
von
Dr. phil. Otto Gillen
Es handelt sich bei unserer Malerin nicht um Darstellung eines theologischen Programms, sondern, um gleich in medias res zu gehen, um den Menschen
schlechthin, um den ja letztlich auch alle Theologie kreist. Nicht ohne Sinn steht die Tusch-Zeichnung "Der Mensch" im Vordergrund, an der Spitze der Bilder-Folge im Hause und dominierend auf der
Einladung. Hier blickt uns die Frage aller Fragen an, die Frage unserer Existenz schlechthin, unserer Stellung im All, unser Schwebezustand zwischen Himmel und Abgrund. Was will Hortense von
Gelmini mit ihrem Bild "Der Mensch" sagen? "Kein geschriebenes Wort kann mir die Gründe sagen, die ich gespürt, als ich begann zu fragen", schrieb
sie einmal. Das Wort wird in der Tat nicht in jene Tiefen reichen, der die Intuition, die Schau in Farben und Zeichen, sich anzunähern vermag. Die Mitte der Zeichnung ist ein Blutfleck: das
schlagende Herz. Entscheidend für den Eindruck des Ganzen ist die Gebärde. Diese Gebärde ist überwältigend. Der Mensch liegt auf den Knien, seine Arme öffnen sich weit nach oben, aufgerissen vor
den Tiefen des Alls, vor denen es nur dieses Überwältigtsein gibt, im Wissen, daß Gott die Welt in den Gesetzen seiner ewigen Ordnung trägt, Makrokosmos und Mikrokosmos. Es ist eine einzige große
Gebärde der Hingabe. Hingabe ist zugleich Anbetung und Anbetung Hingabe; die dem Menschen einzig zukommende, einzig gemäße Haltung dem Schöpfer gegenüber. Vor unserer Zeichnung mag uns deutlich
werden, was Gebärde im Schaffen unserer Künstlerin bedeutet. Sie ist Zeichen von jeweils verschiedener Ausdruckskraft, vom einfachen Rhytmus bis zum Symbol und manchmal über das Symbol hinaus zur
unmittelbaren mystischen Manifestation. So erscheint die oben links schwebende Figur als Symbol des Dämonischen, dem im schwarzen Punkt das Geordnete gegenübersteht. Durch alles hindurch aber
geht das Kreuz, das den Raum des Menschen wie ein Speer durchstößt und gleichzeitig über ihn hinausweist.
In fast allen Bildern unserer Künstlerin ist dies existentiell dem Menschen zugewiesene Zeichen zu finden. Es wird als das vorausgesagte "Zeichen des Menschensohnes" einmal das Ende der Geschichte ankündigen, das Ende des Sehens, das in Schauen münden soll. Ich denke, daß nachher die letzte der heute zu Gehör gebrachten Kompositionen, die "Evolution des Menschen im All", etwas von solchen eschatologischen Blitzen in Tönen aufleuchten lassen wird. Es kann nicht meine Aufgabe sein, die Bilder dieser Ausstellung im einzelnen zu deuten. Ich möchte Ihnen aber einige Gesichtspunkte aufzeigen, die für alle diese Bilder und Zeichnungen gelten. Da ist erst einmal ganz allgemein zu sagen, daß es sich hier um etwas Einmaliges, Ungewöhnliches handelt. Hortense von Gelmini ist, wie Sie wissen, Dichterin, Philosophin, Komponistin und Dirigentin. Sie hatte darüber hinaus keine weiteren künstlerischen Absichten. Da geschah ihr eines Nachts der Anruf, ein Vorgang, der unserer Neugier entzogen bleiben muß. Schon am Morgen fuhr sie nach Freiburg und beschaffte sich das notwendige Rüstzeug zum Malen. Bis dahin hatte sie noch nie einen Pinsel in der Hand gehabt. Und jetzt schafft sie an einem Tag, am ersten Tag, gleich fünf Bilder. Diese Bilder sind Manifestationen der anderen Welt, der Welt, auf die unser innerstes Christsein ausgerichtet ist, bewußt oder unbewußt. Seitdem malt Hortense von Gelmini immer nur auf inneres Geheiß. Sie weiß sich als Werkzeug, als Medium. Das kann sie nur in der Haltung einer totalen Bereitschaft, in einem Sich-zuer-Verfügung-Halten und das ist zugliech Weg zur Heiligung. Heiligung kann nämlich, wie die Künstlerin einmal sagte, auch auf dem Weg der Kunst gefunden werden. "Es gibt wohl keine Himmelsleiter, wie ich im Traum sie einst gehabt, mit der man leichten Fußes die Höhe sich erklimmt und nur voll übermüt'gem Blut ein Halleluja singt". Wie kein zweiter Künstler unserer Zeit, soweit ich die heutige Kunstszene zu überschauen vermag, ist Hortense von Gelmini eine Gerufene, eine Berufene. Sie hat offenbar - wie jeder schöpferische Mensch - einen besonderen Auftrag. Sie kann ihm nicht ausweichen und will es nicht, obwohl die Malerei, wie sie mir einmal sagte, oft eine physische Qual für sie bedeutet. Aber wie unter dem Gesetz einer Sendungs stehend, nimmt sie alle Beschwernisse auf sich. Ihr für eine Frau ungewöhnlich scharfer Verstand, der sie zu hoher Philosophie befähigt, tritt, sobald sie malt, zurück hinter das Schauen. Merkwürdigerweise hat sie keinerlei Schwierigkeiten mit dem Handwerklichen. Sie beherrscht alle Techniken, die sie braucht. Andere Inhalte erfordern andere Verfahren. So können Gestalt und Gehalt eins werden. Was sie sagen darf, sagen muß, sind die Geheimnisse der Erlösung, soweit sie überhaupt einem Sterblichen aufgehellt werden können.
Bei ihrem Bild der Geburt Jesu Christi ist, um nur auf ein paar Beispiele hinzuweisen, der Stern von Bethlehem schon dem Kreuz benachbart. Das große Tryptychon im Treppenaufgang ist eines der zentralen Werke: In der Mitte die Kreuzigung als der Angelpunkt der Weltgeschichte, die Seitenwunde Jesu leuchtet, seine rechte Hand weist hinauf und hinaus aus dem geschichtlichen Raum in die Transzendenz. Im Pfingstgeschehen bricht der Geist als eine glühende Feuersäule quer durch das ganze Gemälde. Es gibt auch rein meditative Bilder, wie der "Paulus im Gefängnis", der durch das Gitter von der Menschenwelt abgetrennte ist in ein mystisches Licht getaucht, in eine andere Sphäre entrückt, aus der heraus er die Worte vernimmt, die er dem Erdkreis zu verkünden hat. Meditativ ist vor allem die Folge der Vaterunser-Bilder. Sie enthüllen ihren tiefen Sinngehalt erst dem, der Muße und Möglichkeit hat, sich in sie zu versenken. Man wird dann auch der geheimnisvollen Symbolkraft der Farben inne. Sie sind bei unserer Malerin Widerspiegelung innerster Vorgänge, seelisch-schöpferische Energien, eine autonom wirkende magische Kraft. Darum bewegen sie uns auch in einer tieferen Schichrt unseres Seins.
Ich komme zum Schluss, nicht ohne noch einmal das Zeichen zu beschwören, das im Leben und Schaffen der Künstlerin die zentrale Stellung einnimmt, und von dem sie einmal betroffen schreibt: "Mein Gott, tief bricht dein Kreuz ins sündig' Menschenleben ein!" Entscheidend ist, daß wir wieder das ganze Kreuz sehen. Im Drang eines umfassenden sozialen Engagements, das in den horizontal geerichteten Kreuzesarmen ihr Symbol gefunden hat, hat man nicht selten die Vertikale vergessen. Nicht ohne Grund sind die Kreuze auf den Bildern unserer Künstlerin Speere in den Abgrund und Weiser in die Transzendenz. Die besondere Aufgabe ihrer Kunst scheint mir darin zu liegen, uns wieder dem Geheimnis näher zu bringen, dem Mysterium, das unserem Glauben innewohnt. Es ist das Herz unserer Sakramente, in dem das Herz Jesu schlägt. Hortense von Gelmini läßt uns auf das Geheimnis schauen wie durch farbenglühende Fenster. Dafür danken wir ihr!
(gekürzte Version)